Kapitel 7

Im Autismus Institut ( ehemals Miller Institut ) bekam ich zügig einen Termin, den ich voller neuer Hoffnungen wahr nahm. Ich habe dort Nikes Entwicklungsgeschichte erzählt. Der Fragebogen, den ich ausfüllen sollte, enthielt Fragen nach Verhaltenauffälligkeiten, die ich mit ja beantworten mußte, da diese exakt auf meinen Sohn zutrafen. Ich fühlte mich sofort verstanden und angekommen. Nichts von dem, was ich erzählte, stieß auf Unverständnis. Keine weit aufgerissenen Augen, Nein, jeweils ein wohlwollendes, verständnisvolles Nicken, nach Beendigung einer Beschreibung.

Die Therapie konnte sofort nach Klärung der Kostenübernahme beginnen. – Also Ärmel hochgekrempelt und auf zu den Behörden!

Der erste Schritt führt mich zu der für uns zuständigen Amtsärztin, die von einem Psychologen unterstützt, sich ein Bild von dem kleinen Herrn Spitaler machen wollte. Mich beschlich wärend dieser Begutachtung das Gefühl, daß man in mir eine bedauerndswert, kleine Mami sah, der man eine Einführungsstunde in Kindererziehung ertteilen mußte. Was ich wollte, war ein Attest für das Sozialamt, worin bestätigt wurde, daß sie eine Therapie im Autismus Institut befürwortet. Aber da war ich bei Frau Doktor an der falschen Adresse. Ich durfte unwissend fragen, aber nicht wissend eine Forderung stellen. Sie allein stellte die Diagnose und entschied dann über die Art und Form der Therapie. Unsere liebe “Amtsärztin” verwies mich an einen ihr bekannten Psychologen. Kommentar: Der sei bestimmt genauso fähig wie die im Institut und berechnet für die Stunde nur ein Drittel. Wenn man ein Auto reparieren will, bekommt die Werkstatt den Auftrag, die das günstigste Angebot macht.

Ich ließ mich auf diesen unqualifizierten Vorschlag nicht ein, sondern nahm den Therapieplatz an und schaltete einen Anwalt ein, der die Kostenübernahme per Gesetz erstritt.

Warum wird es Menschen so schwer gemacht. Der normale Alltag mit einem behinderten Kind fordert oftmals alle Kraft. Die zusätzlichen Hürden könnten einem wirklich erspart werden. Kein Mensch entscheidet sich aus Jux und Tollerei und lauter Langeweile dafür, sein Kind therapieren zu lassen. Ich verstehe die Mütter und Väter, sie sich letztendlich mit ihren schwierigen Kinder zurückziehen und unsichtbar werden. Es kostet so viel an zusätzlicher Energie, seinen Weg zu gehen. Wieviel Chancen werden von dieser Art Beformundung vertan? Wieviele Kinder bleiben auf der Strecke?

Bei uns blieb die Ehe auf der Strecke. Während ich mich eingehend mit Nikes Behinderung auseinander setzte, während ich von einer Therapie zu anderen eilte, während ich vormittags in der Praxis arbeitete und nachmittags zusah, daß ich den Kindern eine einigermassen gute Mutter war, wurde mir klar, daß Gerhard und ich uns zusehends auseinander lebten. Gerhard genoß die Tatsache, ein angesehener Masseur und Praxisbesitzer zu sein. Es war die Erfüllung für ihn. In Sportlerkreisen wurde er bekannt, hielt seinen Einzug bei den HSV-Amateuren und ließ keine Party aus. Das war sein Leben. Nur an der Oberfläche, dadurch war er weder Stütze noch Begleiter für mich. Ich schlug ihm die Trennung vor und nach langem hin und her, willigte er ein. Er versprach sich eine Wohnung zu suchen, allerdings dauerte es fast einJahr, bis er eine fand und dasauch nur, weil ich sie ihm besorgte.

Domenik hatte ich in dieser Zeit während ich arbeitete bei einer Tagesmutter untergebracht. Es war nur eine Übergangslösung, da ich über eine Freundin einen Platz im Montesorrie-Kindergarten hatte, den wir aber erst mit Vollendung des dritten Lebensjahres in Anspruch nehmen konnten.

Julia, sie war Erzieherin in diesem Kindergarten. Ich lernte sie beim Töpfern in Sachas Kindergarten kennen. Durch Zufall bekam ich ein Gespräch mit, indem sie erzählte, daß sie gerade eine neue Stelle angenommen hat. Monterssorie – das weckte meine Neugierde. Ich wußte bis dahin nur, daß ein besonderes Konzept dahinter stzand, aber nicht genau welches. Julia erzählte mir von den pädagogischen Ansprüchen und für mich stand fest, wenn Domenik in einen Kindergarten gehen sollte, dann in diesen, denn er schien wie geschaffen für meinen Sensoriker. – Frau Montessorie ging davon aus, daß es für die Entwicklung eines Kindes nichts wichtigeres gibt, als die sensorische Wahrnehmung. Hierauf beruht auch das gesamte Konzept dieser Einrichtungen. Wenig, aber ausgewählt gutes Spielmaterial, brößtmögliche Kreativität und das Augenmerk darauf gerichtet, daß jedes Kind in der Lage ist, auch nachzukontrollieren, ab es mit dem jeweiligen Material richtig ungegangen ist. Die Kinder lernen von Anfang an, sich selbst zu versorgen. Decken den Tisch, waschen das Geschirr ab. Der Gang zur Toilette soll weitgehend selbstständig erfolgen. Daher wird viel Wert auf die Art der Bekleidung gelegt.

Ich war ausgesprochen glücklich, den Platz für Nike bekommen zu haben. Natürlich muß ich zugeben, daß es ohne Beziehung nicht geklappt hatte. Neben Domenik gab es noch ein zweites behindertes Kind. Ein süßes kleines japanisches Mädchen mit Down Syndrom.