Kapitel 9

Für eine kurze Zeit kam Entspannung und Ruhe in mein Leben, doch dann entdecktes Du die TOILETTENSPÜLUNG. Du entdecktest den Zauber des Verschwindens. Angefangen hatte damit, dass ich Deine Kacke und Deinen Urin aus dem Töpfchen feierlich der Toilette übergab, zur Belohnung für aufs Töpfchen gehen, durftest Du die Spülung betätigen. Vor lauter Entzücken über das dadurch entstandene Geräusch und dem Verschwinden von dem, was wir da hinein taten ranntest Du im Badezimmer hin und her und Deine Begeisterung kannte keine Grenzen. Da lag wohl die Überlegung nahe, was wohl sonst noch alles mit Zauberkraft verschwinden könnte. Ich muß Dir heute noch bestätigen, es ist kaum faßbar, was alles in ein Klo paßt und obendrein , ohne eine Verstopfung der Rohre zu verursachen Seife, Waschlappen, Socken, Strumpfhosen, Bestecke, Hausschuhe und verschiedenes Spielzeug.  Ich denke, Du bist der Kompetentere im Aufzählen, denn weiß Gott, was da noch alles „in die Toilette, durch die Rohrleitungen, in die Elbe“ verschwunden ist.

Auch der Kindergarten erlitt erhebliche Verluste und beteiligte sich an dem Rätsel. „Wo sind folgende Dinge, die vermisst wurden. Hat etwa Nike? – Nicht zu vergessen, dass es in einem Kindergarten nicht nur ein Klo, sondern gleich mehrere vorhanden sind.

Wieder einmal war es Du, der ins Scheinwerferlicht tratest und den Unmut aller erregtes. Das Problem war nicht, dass das eine oder andere Teil fehlte. Nein, wenn dann verschwanden systematisch alle Seifenstücke, alle Zahnbürsten, alle Zahnpastatuben, also immer gleich im Dutzend oder mehr – denn in Nikes Gruppe waren insgesamt 20 Kinder. Um Deine sogenannten Zauberkünste zu vollführen, brachst Du jeden Geschwindigkeitrekord. Für alle unverständlich. Eine Sekunde nicht im Blickfeld eines Erziehers gewesen, schon fand man Dich an der einen oder anderen Toilettenspülung. –

Und da Dein Ehrgeiz in Punkto „was fasziniert mich noch“ im höchsten Masse ausgeprägt war, kam das Wunder der Anziehungskraft der Erde dazu. Das bedeutete, dass Du keine Gelegenheit ausließest, jegliche Form des Umwerfen, Auskippen und Ausschüttes auszuprobieren. Kaffe, Tee, Säfte, Mehl, Kakao, Reis und was ein anständiger Haushalt hergab und ein gut geführter Kindergarten. – Wen wundert es da, dass sich Verzweiflung und Resignation ausbreitete.

Unsere Wohnung, der Kindergarten, die Wohnung der Großeltern sowie die Haushalte von Freunden wurden von Dir mit Leichtigkeit und Schnelligkeit in wahre Müllkippen verwandelt. Aufpassen, Putzen und Aufräumen wurde eine Dauerbeschäftigung, solange Du Dich vor Ort befandest. Waren wir dabei, Dich vom Klo abzuhalten, fegtest Du die Regale und Tische leer. Wollten wir verhindern, dass es dazu kam, verschwanden die Gegenstände im Klo.

Selbstverständlich war es möglich, die Toilettentür abzuschließen, auch wenn die Maxime des Kindergartens widersprach,  da dieses die Selbstständigkeit der Kinder verhindert. Aber Abschließen allein hätte nicht genügt. Zusätzlich mußte der Schlüssel abgezogen werden, das jedoch hätte dazugeführt, dass jedes Kind einzeln aufs Örtchen begleitet werden mußte, was aber, wie sich jeder denken kann, dem Personal widerstrebte. Auch bei uns zu Hause war ich stets darauf bedacht, möglichst die Tür abzusperren, jedoch hätten Sacha und seine Freunde, die oft bei uns zu besuch waren, regelmäßig daran erinnert werden müssen „bitte die Tür abschliessen“, was nicht jedesmal befolgt wurde – und schon reichte es für ein neuerliches Attentat. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich einem Patienten am Telefon erklären mußte, dass sein Scheck in Höhe von DM 350,– in der Kanalisation gelandet ist und ob er wohl so nett sein könnte, mir einen neuen auszustellen. Himmel, war mir das peinlich! Da meine Erklärung so ungewöhnlich war, dass es wieder glaubhaft klang. Heimlich, ohne meinem Mann etwas davon zu erzählen, machte ich mich, nachdem Nike im Bett war, auf den Weg um diesen Scheck abzuholen. Gerhard hätte für mein Ungeschick kein Verständnis gehabt. Viel zu oft hatte ich von ihm gehört, „es kann doch nicht so schwierig sein, ein so kleines Kind unter Kontrolle zu haben“. Ja, wenn man zu zweit ist, dann geht es auch leichter!