Kapitel 4

Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich Domenik von seiner, für mich, sinnlosen Zerstörung- und Randalierwut abbringen mußte. Also fing ich an, Grenzen zu setzen und an mir wichtigen Stellen, Verbote auszusprechen. Ein klares NEIN sollte, so meinte ich genügen. Vergeblich. Sooft ich es ausprach, ihm danach den entsprechenden Gegenstand aus der Hand nahm, in sekundenschnelle hatte er ihn wieder in seinen Fängen. Ich nahm ihn auf den Arm, probierte es wieder, entfernte ihn ein Stück von der Quelle seiner Begierde, setzte ihn zurück auf den Boden, sprach wieder ein NEIN aus und schon war Domenik wieder im Besitz seiner Trophäe. Hielt sie triumphierend fest umklammert. Ich konnte es nicht begreife, warum Nike sich von Dingen magisch angezogen fühlte, die nur mir persönlich etwas bedeuteten. Unverständlich warum sie einen Reiz auf ihn ausübten. War mein Sohn wirklich in der Lage, zu erspüren, dass es eine Wichtigkeit für mich hatte? War das alles nur Zufall – oder?

Wie konnte ich meinen Bruchpiloten davon abbringen, gezieltGegenstände zu zerstören? Mein Gegner in diesem Spiel war meine Einstellung. Ich haßte es, Dinge zu verstecken oder einzuschließen. Mein Anspruch war, dass es in einer Familie möglich sein mußte, die Grenzen des anderen zu achten. Das erwartete ich von Gerd, von Sacha und auch von meinem Fröschchen. Warum in aller Welt, sollte es bei ihm nicht klappen. Tausend Sachen gab es in der Wohnung, die er nehmen konnte, warum zogen ihn ausgerechnet die magnetisch an, die verboten waren?

Ab und zu, wenn ich völlig genervt war, wenn das Chaos mich erdrückte, kam es schon mal zu einem Klaps auf die Finger oder auf den Po. Dann traf mich von Nike ein eiskalter, fast diabolischer Blick, den ich nicht ertragen konnte, und er wiederholte selbst den Klaps an sich und tat daraufhin genau das noch einmal, wofür ich ihn gerügt hatte. Das erreichte mein Innerstes so sehr, dass ich das Gefühl hatte, er ist nicht von dieser Welt. Es erstach mich und hinterließ nur Ohnmacht und Schmerz. Ich fühlte mich so beschämt, dass ich für einige Zeit kuriert war. Ich ließ ihn walten und schalten und ergab mich. Welchen Sinnn hatte es, meine Energien für materielle Dinge zu verschwenden. Ich akzeptierte Seinen Drang und versuchte, mich von allem loszusagen, was mir wichtig erschien.

Leider waren nicht alle anderen Menschen so “tolerant” wie ich. Besuche bei Freunden und Bekannten wurden immer schwieriger, denn auch dort war Nikes Verhalten nicht anders als bei uns zu Hause. Es war ein Drahtseilakt. Einerseits wollte ich mich nicht ganz isolieren, auf der anderen Seite fühlte ich mich mit meiner Dampfwalze bei anderen derart unter Spannung, dass ich nicht in der Lage war, auch nur einen Moment zu genießen. Selbst die, die von Nikes Problemen wußten und sich auch auf uns einrichteten, waren letztendlich überfordert. Also schränkte ich diese kleinen Abwechslungen in meinem Leben ein und reduzierte die Treffen oder verlegte sich in unsere Wohnung.

Ich vernachlässigte meinen Haushalt. Mit Gerd kam es zu regelrechten Kämpfen. Er warf mir die Unordnung vor. Beschimpfte mich mit unfreundlichen Titulierungen. Wenn er abends nach Hause kam behauptete er, er müsse sich regelrecht den Weg ins Wohnzimmer reischaufeln. Alles würde kleben. Wie ich das nur aushielte? Oftmals schrie es in mir auf. “Verdammt, ich kann nicht mehr. Ich halte es ja selbst kaum aus. Ich bin nur macht- und kraftlos. Aber um das zu verstehen, muß man schon mit Domenik Tag für Tag zusammensein.” Nur es kam nicht über meine Lippen. Ich war nicht in der Lage mich zu verteidigen, mich zu wehren oder auch nur meine Gefühle mitzuteilen. Ich ließ es über mich ergehen, blickte lethargisch in die Luft.

In all`diese Verzweiflung und Resignation mußte Nike auch noch richtig kräftig reinschlagen. Er bekam Durchfall. Damit begann ein neues Kapitel unserer Geschichte!